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Versorgung von Menschen mit Krebserkrankungen während der ersten Welle der COVID-19-Pandemie

Um ausreichend personelle, Intensiv- und Beatmungskapazitäten für Patientinnen und Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen bereitzuhalten, wurden die Krankenhäuser in Deutschland in einem Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 12. März 2020 dazu aufgefordert, alle planbaren Aufnahmen, Operationen und Eingriffe, soweit medizinisch vertretbar, auszusetzen und die Personalplanung auf die Versorgung von intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten auszurichten. Medizinisch notwendige Behandlungen sollten weiterhin ermöglicht werden. Besuchsregelungen in Krankenhäusern, Pflege-, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen wurden angepasst. Seitdem wurde die Versorgungssituation von Menschen mit onkologischen Erkrankungen in Deutschland vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie in einer Vielzahl von Veröffentlichungen diskutiert. Eine Auswahl dieser Beiträge, die das Geschehen in der frühen Pandemiephase aus verschiedenen Blickwinkeln untersuchen, ist hier zusammengefasst.

Systematische Befragungen von Krebszentren

Um die Folgen der COVID-19-Pandemie für die Behandlung und die klinische Erforschung von Krebserkrankungen zu erfassen und drohende Versorgungsengpässe frühzeitig zu erkennen, setzten das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), die Deutsche Krebshilfe und die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) im März 2020 einen gemeinsamen Krisenstab ein. Dieser befragte von März bis August 2020 regelmäßig 18 onkologische Spitzenzentren (Comprehensive Cancer Centers, CCCs) in Deutschland zu verschiedenen Bereichen der onkologischen Versorgung.


Für Patientinnen und Patienten, die innerhalb der CCCs betreut wurden, zeigten sich in den Befragungsergebnissen zwar keine anhaltenden, bedrohlichen Einschränkungen der onkologischen Akutversorgung, das heißt bei Diagnostik und Primärtherapie. Es kam jedoch zu Verzögerungen und Veränderungen: Temporäre Funktions- und Kapazitätseinschränkungen zeigten sich in den Bereichen der Diagnostik, der Tumoroperation, der systemischen (medikamentösen) Therapie, der Nuklearmedizin und der Palliativtherapie. In einigen Zentren wurden, sofern klinisch vertretbar, Systemtherapien solider Tumoren aufgeschoben bzw. Therapiezyklen modifiziert und vereinzelt Tumoroperationen mit geringerer Dringlichkeit in den ersten Pandemiewochen verschoben. Fast alle Zentren berichteten über die gesamte Dauer der Beobachtungsperiode von deutlichen Einschränkungen im Bereich der Nachsorge und bei der psychoonkologischen Beratung, der Sozialberatung, Ernährungs- und Bewegungstherapie. Ein Teil der Einschränkungen in diesem Bereich konnte über Telefon- und Videokontakte ausgeglichen werden. Vorübergehende Einschränkungen bei der Früherkennung entstanden sowohl seitens der Anbietenden als auch durch eine verringerte Inanspruchnahme durch die Patientinnen und Patienten.

Übersicht einschlägiger Veröffentlichungen

Der Übersichtsartikel beschreibt die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Versorgung von Menschen mit onkologischen und anderen chronischen Erkrankungen (Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychische Erkrankungen) und kommt dabei zu ähnlichen Ergebnissen wie die Befragung der CCCs. Die Notfallversorgung blieb gewährleistet, es kam jedoch zur Verschiebung von weniger dringlichen diagnostischen und therapeutischen Eingriffen. Im stationären Bereich ging, insbesondere bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Zahl der Aufnahmen leichterer Fälle zurück. Telemedizinische Angebote wurden für alle Bereiche erweitert.

Auswertungen von Versichertendaten

Veränderungen im Versorgungsangebot und in der Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen im Frühjahr 2020 spiegeln sich auch in den Daten der gesetzlichen Krankenkassen wider: Vorsorgeuntersuchungen wurden teilweise ausgesetzt (Mammographie) oder wurden von den Versicherten seltener wahrgenommen oder nachgefragt (Vorsorgekoloskopie, Hautkrebsscreening). Beispielsweise gingen in der letzten Märzwoche, im Zeitraum verstärkter Kontaktbeschränkungen, die Abrechnungsfälle bei der Vorsorgekoloskopie um 43 Prozent, beim Hautkrebsscreening um 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück. Ebenso sank die Zahl der Krankenhausaufnahmen wegen Neubildungen: Im Zeitraum März/April 2020 lag sie bei AOK-Versicherten 22 Prozent unterhalb des Vorjahresniveaus. Von Mitte März bis Anfang April sank die Zahl der Ersteingriffe für einige Diagnosen (insbesondere Darm- und Lungenkrebs) und stieg für andere Diagnosen (Brust- und Gebärmutterhalskrebs) an. Die Zahl der Zweiteingriffe bei Brust- und Darmkrebs ging gegenüber dem Vorjahreszeitraum um mehr als 70 Prozent zurück.

Analysen von Krebsregisterdaten

Erste Auswertungen von Pathologiemeldungen an das Krebsregister Nordrhein-Westfalen zeigen einen Rückgang von Befundmeldungen um 21 Prozent im April 2020 im Vergleich zum Vorjahr, mit einer Rückkehr auf das Vorjahresniveau in den folgenden Monaten. Ein Nachholeffekt wurde nicht festgestellt. Ähnliche Untersuchungen in den Niederlanden und in Belgien hatten teilweise deutlich stärkere bzw. länger andauernde Effekte gezeigt.

Von Versorgungsdaten während und nach der Pandemie lernen

Von den onkologischen Spitzenzentren wurde ab etwa Mitte Mai 2020 eine kontinuierliche, aber langsame Erholung der Versorgungssituation berichtet. Wie sich die beobachteten Veränderungen in der onkologischen Versorgung während der ersten COVID-19-Welle und auch das im Herbst und Winter 2020 andauernde Pandemiegeschehen langfristig auf den Krankheitsverlauf von Menschen mit Krebs auswirken, wird jedoch erst im Lauf der nächsten Jahre erfasst werden können. Hierfür sind weiterhin verschiedene Erhebungsansätze gefordert. Neben Krankenversicherungsdaten, die eine kurzfristige quantitative Auswertung ermöglichen, können Befragungen auch qualitative Aspekte berücksichtigen. Für ein langfristiges Monitoring der Auswirkungen auf Therapiemodifikationen, stadienspezifische Inzidenz, Mortalität und Überleben liefern Daten aus bevölkerungsbezogenen Krebsregistern eine wichtige Grundlage.

Stand: 18.12.2020

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